“Favoriten” - 16.01.25 -Filmclub Bozen

News 14.1.2025 Teilen

Film und Talk

Welche Sprache redest du?
Die DOC DAYS bringen den Dokumentarfilm Favoritenvon Ruth Beckermann nach Bozen und zeigen, wie Schule heute wirklich ist. Im Anschluss an den Film findet am Donnerstagabend eine Podiumsdiskussion zum Thema Schule, Sprache und Inklusion statt.
“Welche Sprache redest du?” fragt ein Mädchen seine Mitschüler:in, während sie sich gegenseitig mit einer Handykamera filmen. “Tschetschenisch, Russisch, ein bisschen Englisch und Deutsch”, antwortet diese. Ein Austausch, der die kulturelle Vielfalt und die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler widerspiegelt, die der Dokumentarfilm „Favoriten“ eindrucksvoll einfängt. Der Film porträtiert eine Wiener Schulklasse, in der Sprache, Identität und Integration zentrale Themen sind - und wird am Donnerstagabend im Rahmen der DOC DAYS im Filmclub Bozen gezeigt.

Zum Film
Gedreht wurde der Dokumentarfilm in einer Volksschule im gleichnamigen Wiener Bezirk Favoriten, einem kulturell vielfältigen Stadtteil. Alle Schüler:innen der Klasse, ebenso wie ihre Lehrerin Ilkay Idiskut, haben einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen sind in Österreich geboren, sprechen aber zu Hause kein Deutsch.
Von der zweiten bis zur vierten Klasse Volksschule begleitete das Filmteam um Regisseurin Ruth Beckermann und Kameramann Johannes Hammel die Klasse im Unterricht. Entstanden ist ein authentisches Porträt, das die Lebenswirklichkeit der Kinder beobachtet und einfängt und sich so in die Diskussion um Schule und kulturelle Identität einschreibt.

Die Kameraperspektive
Kameramann Johannes Hammel setzte auf Nähe und Authentizität: Er bewegte sich zwischen den Schüler:innen, zwängte sich zwischen Schultaschen und -bänke und brachte Kamera und Mikrofon dicht an die Kinder heran. Diese Herangehensweise ermöglichte einen Blick “auf Augenhöhe im doppelten Sinn”, wie Hammel erklärt: “Es geht nicht darum, was über ihren Köpfen passiert, sondern um das, was zwischen ihnen und zwischen ihnen und der Lehrerin passiert”.
Und da passiert viel: Die Kinder erzählen von ihren Familien und davon, was sie einmal werden wollen. Reden über Bikinis im Schwimmbad, über Zeugnisse und über Religion. Sie freuen sich oder weinen wegen einer schlechten Note und streiten darüber, wer wo sitzen darf.
Um diese Stimmung einzufangen, filmt der Kameramann auf Augenhöhe, die Kinder werden nicht von oben betrachtet, sondern blicken direkt in die Linse - oder an ihr vorbei. Denn trotz der Nähe würden viele Kinder die Kamera nach kurzer Zeit vergessen: “Erwachsene wissen immer, dass sie gefilmt werden, auch wenn ich mit der Kamera irgendwo in der Ecke stehe”, sagt Hammel. Bei Kindern sei das anders: “Die vergessen mich ganz schnell.”
Indem er sich direkt neben sie stellt, sich mit der Kamera zwischen die Kinder drängt und sich so sichtbar macht, will er den Kindern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, was sie preisgeben wollen und was nicht: “Ich bin immer darauf angewiesen, was die Menschen, die ich filme, zeigen möchten”, sagt Hammel. “Die Klasse wollte diesen Film. Das war für mich ein Geschenk, das ich voll auskosten konnte”.

“Einer der wichtigsten Dokumentarfilme der letzten Jahre”
Seit der Veröffentlichung des Films wird Lehrerin Ilkay Idiskut in Österreich gefeiert. Sie gibt Interviews, tritt in Talkshows auf und wurde von der Wochenzeitung „Falter“ zur „Person des Jahres“ gewählt. Für Emanuele Vernillo, der für die fas (Film Association of South Tyrol) die Filmauswahl der DOC DAYS kuratiert, ist “Favoriten” gerade wegen der Rolle der Lehrerin einer der wichtigsten Dokumentarfilme der letzten Jahre: “Der Film spricht über kulturelle Identität, Schule und Sprache und ist damit Teil einer aktuellen Debatte”, so Vernillo. “Vor allem aber erzählt er von den finanziellen und strukturellen Schwierigkeiten, mit denen öffentliche Schulen in ganz Europa zu kämpfen haben, und vom Engagement und Enthusiasmus, mit dem Lehrerinnen und Lehrer diesen Schwierigkeiten begegnen”, sagt der Filmemacher.
Wie Hammel erklärt, dreht sich die Diskussion zum Thema Schule und Migration heute vor allem um die Kinder, die selbst keinen Migrationshintergrund haben: “Deutschsprachige Familien haben Angst, dass ihre Kinder durch den hohen Anteil an Schüler:innen mit Migrationshintergrund nicht mehr richtig Deutsch lernen. Um das zu verhindern, ziehen manche sogar in einen anderen Stadtteil wo die Klassen homogener sind.” So hätten die anderen aber keine Chance: “Die Schüler:innen sprechen nach fünf Jahren immer noch nicht richtig Deutsch, weil sie keine Möglichkeit haben, es zu lernen - auch wenn sie wirklich intelligent sind und sich anstrengen”. Der Film gibt diesen Kindern ein Gesicht und schafft es so, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen: “Man lebt im Film einfach mit ihnen mit, man denkt gar nicht an ihre Herkunft”, so Hammel.

Filmscreening und Diskussion in Bozen
Am Donnerstag, den 16. Jänner, wird „Favoriten“ im Rahmen der DOC DAYS - und in Zusammenarbeit mit dem Forum Prävention - im Filmclub Bozen gezeigt. Im Anschluss findet eine Diskussion zum Thema „Bildung in Bewegung: Wege nach vorn” statt. Gemeinsam mit dem Filmemacher Johannes Hammel, sowie Vertreter:innen der Allianz der Familie und der deutschen Bildungsdirektion sollen die Themen des Films auf den lokalen Kontext in Südtirol heruntergebrochen und neue Ansätze für Bildung und Inklusion aufgezeigt werden.
Wie die Co-Präsidentin der fas und Ideatorin der DOC DAYS, Nela Märki, erklärt, wolle man mit den DOC DAYS Filme wie “Favoriten”, “die man sonst kaum zu sehen bekommt und die Einblicke in unterschiedlichste Erzählweisen, Perspektiven und Geschichten aus aller Welt bieten können”, aus der Filmblase herausholen und einem breiteren Publikum in Südtirol zugänglich machen.

Lösungsansätze für den lokalen Kontext gesucht
Thematisch lehnt sich Favoriten “eng an die Lebenswirklichkeit in der Provinz an: Die Themen Schule, Sprache und Migration sind in Südtirol durch die Bemühungen um den Schutz der deutschen Minderheit und Sprache zusätzlich aufgeladen”, erklärt Schulinspektor Christian Walcher, der als Vertreter der deutschen Bildungsdirektion an der Diskussion teilnehmen wird, im Vorfeld. Als Verantwortlicher für das Thema Migration wird er seine Erfahrungen im Bereich Inklusion und Sprachförderung in die Diskussion einbringen können. Sandra Moszner, die in der Diskussion die Allianz der Familie vertritt und als Präsidentin der Eltern-Kind-Zentren fungiert, hat hingegen die Fragen und Anliegen im Blick, die Eltern in diesem Themenfeld bewegen.
Moderiert wird der Abend von Alex Giovinelli vom Forum Prävention, der sich gemeinsam mit seiner Kollegin Elisa Zenatti zum Ziel gesetzt hat, die Diskussion “weg von oberflächlichen Pro- und Contra-Debatten hin zu neuen Handlungsansätzen” zu lenken: “Wir wollen uns mit den Herausforderungen auseinandersetzen, vor denen Bildungsinstitutionen und Familien im Bereich Inklusion und Sprachförderung stehen, und so den Diskurs über Inklusion und Bildung konstruktiv vorantreiben und Lösungsvorschläge entwickeln.” Im Fokus sollen am Donnerstagabend auch die Fragen des Publikums stehen, um so gemeinsam Perspektiven und Ideen für die nahe Zukunft zu entwickeln.

Text und Interviews: Valentina Gianera